25.05.2020
Wer ist der Oberschurke?Die schräge Nebentätigkeit der Corona-Verschwörungstheoretiker

Wer ist der Oberschurke?Die schräge Nebentätigkeit der Corona-Verschwörungstheoretiker

Wer ist der Oberschurke?

Die schräge Nebentätigkeit der Corona-Verschwörungstheoretiker

Ich gebe es zu: Auch ich bin Fan von Verschwörungen. Als Thriller Autor war mein allererster Thriller, „Das Große Tier“, eine Mischung aus Wall Street und Da Vinci Code. Ich hatte vorher Dan Brown verschlungen, ebenso wie Robert Wilsons „Illuminatus“, dessen Illuminaten nicht nur in dem deutschen Spionagefilm „23“ auftauchen, sondern auch in Dan Browns „Illuminati“ nochmals aufgegossen werden.  Der Verschwörungsmeister par excellence bleibt für mich aber nach wie vor Umberto Eco mit seinem Fouccaultschen Pendel, bei dem drei Mailander Verlagslektoren von ihrem Verleger ausdrücklich den Auftrag bekommen, sich eine mehrbändige Weltverschwörung auszudenken, um die Buchverkäufe des Verlags anzukurbeln. 

In Zeiten von Krisen wie jetzt haben natürlich Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Und nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Prepper und Reichsbürger sehen sich vom Carl Schmittschen Ausnahmezustand bestätigt, sondern neuerdings wagen sich auch Ex-Radiostars wie Elmar Hörig vom SWF3, Patrick Lynen vom WDR2 und Ken Jebsen vom RBB mit eigenem „Thrillermaterial“ aus der Deckung. Xavier Nadoo macht das schon länger, so dass seine Thesen gar nicht mehr groß auffallen sondern als gegeben hingenommen werden. Wenn die Tätigkeit als Verschwörungstheoretiker aber maximal weit weg vom Kerngeschäft angesiedelt ist, ist der Wirbel groß. 

Jüngstes und auffälligstes Beispiel dafür ist der Vegankoch Attila Hildmann, der kürzlich auf besonderes krude Weise in den Verschwörungschor einstimmte. Über diverse Social Media Plattformen gab und gibt er zu Protokoll, dass das Grundgesetz bald vom Infektionsschutzgesetz abgelöst werden wird, dass sein Onkel in der Wehrmacht war und auch er, Attila, bereit sei, für dieses Land zu sterben und dass, natürlich!,  Bill Gates die Wurzel allen Übels sei. Diese Thesen befremden besonders deswegen, weil man sich fragt, warum nun gerade ein erfolgreicher Hersteller von veganen Lebensmitteln sein „Produktangebot“ derart schräg erweitert. Der Schuss ging nämlich bekanntlich nach hinten los. Zahlreiche Lebensmittelhändler wie Kaufland, die sich über diese Thesen als „äußerst befremdet“ zeigten, nahmen kurzerhand die Produkte von Hildmann aus dem Programm. Auch Hohn und Spott im Netz war Hildmann gewiss: „Typisch, wenn sich von RTL hochgezüchtete B-Promis zu internationalen Zusammenhängen äußern“, „vegane Ernährung führt halt zu schlechter Durchblutung des Gehirns“ und „der hat wohl zu oft mit der Pfanne aufs Fressbrett gekriegt“ waren noch die freundlicheren Kommentare auf Twitter & Co. Dass Hildmann bei einer Demonstration vor dem Reichstag von Sicherheitskräften abgeführt wurde, ist der bisherige Höhepunkt seines kommunikativen Corona-Amoklaufs.

Kein Angebot ohne Nachfrage. Denn keiner sendet solche Thesen in die Welt, wenn es nicht Leute gäbe, die so etwas hören wollen. Warum also fahren Menschen auf derlei Vereinfachungen ab? Unser Gehirn kann Komplexität nicht ertragen und möchte Dinge, die schwer zusammenzubringen und noch schwerer zu kontrollieren sind, wie das Wetter, Finanzströme oder Kriege und natürlich ganz besonders Krankheiten gerne personifizieren. Früher wurden dafür z.B. Wettergötter erfunden, dann kamen Weltverschwörer wie die Illuminati, die Zionisten, der Vatikan, die Wallstreet, die Bilderberger, gerne auch immer wieder das Silicon Valley oder jetzt die Corona-Strippenzieher. Es wird, wie im guten alten Märchen, also immer ein Schurke oder auch gern ein James Bond artiger Oberschurke gesucht, der an allem Schuld ist und den es zu besiegen gilt. 

Ein Thriller Lektor würde Hildmann definitiv mangelnde Phantasie vorwerfen, denn Goldfinger-Format haben seine Schurken nicht. Denn die ärgerlich penetrante und reichlich altbackene Inszenierung von Bill Gates als bondschen Bösewicht, den Hildmann unter anderem als Satanisten verunglimpft, ist alles andere als originell und neu ist sie schon gar nicht. Windows Strichcodes wurden schon in 90er Jahren mit der Zahl des Satans in der Bibel (666) verglichen und Gates galt schon als böser Puppenspieler, als es Facebook noch gar nicht gab und Goldman Sachs noch keiner kannte. Dass Microsoft deswegen so heißen soll, weil es den Menschen Mikrochips einpflanzen will (man beachte das Word „Micro“!) ist dermaßen an den Haaren herbeigezogen wie es schlecht recherchiert ist. Microsoft stellt primär und noch immer Software her und keine Chips.  Das machen z.B. Intel und Infineon. Vielleicht wird Gates auch einfach nur gern aus dem Hut gezaubert, weil die Melinda und Bill Gates Stiftung medial mit ihren Impfaktivitäten gar nicht groß auffällt, da sie besonders in Afrika gegen Krankheiten impft, die hier als besiegt gesehen werden und die kaum mehr jemand auf dem Schirm hat. Hier gilt der schöne Spruch: Ein Baum der fällt, macht mehr Lärm als ein ganzer Wald der wächst. 

In der Wirtschaft nennt man die Erweiterung einer Produktlinie „Line Extension“: Cola macht Cola Light und Zero, Becks macht Becks Gold und Lemon. Manche dieser Line Extensions sind erfolgreich, bei anderen sorgt diese Verzettelung beim Kunden eher für Verwirrung. Warum nun ein erfolgreicher Vegan Koch, der Kochbücher in Bestseller Auflagen schreibt und seine Produkte erfolgreich im Handel platziert, meint, er müsse eine Line Extension Richtung Verschwörungstheorien, parallel zu seinen sonstigen Angeboten anbieten, erschließt sich mir ökonomisch nicht. Zwar hat Hildmann dadurch maximale Aufmerksamkeit generiert, aber sein Kerngeschäft maximal geschädigt. Marketingleute wissen: Einen Neukunden zu gewinnen ist sehr viel schwerer als einen Altkunden zu vergraulen. Vielleicht ging es Atilla Hildmann auch nur zur gut. Lebensmittel boomten, die Leute kochten zu Hause, weil die Restaurants geschlossen waren, und Hildmann wäre nicht der erste, der im Angesicht des Erfolgs auf geschäftsschädigende Experimente kommt. Getreu dem schönen Sprichwort: Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis.

Dennoch wäre das ganze erträglich oder sogar unterhaltsam, wenn die Thesen von Herrn Hildmann wenigstens originell wären. Das sind sie leider auch nicht. 

Wer also veganen Genuss mit intellektueller Abwechslung kombinieren möchte, sollte die Kochbücher von Herrn Hildmann lesen und für Verschwörungen mal wieder Ecos „Foucaultsches Pendel“ aus dem Bücherregal kramen. Dort entpuppt sich die Verschwörung, die sich die Verlagslektoren rein fiktiv am Reißbrett ausgedacht haben, am Ende doch als wahr und die realen Verschwörer, die es tatsächlich gibt, jagen die Lektoren, da sie sich ertappt fühlen und die scheinbaren Mitwisser beseitigen wollen.  

Falls also demnächst Microsoft Schergen von Bill Gates losgeschickt werden, um Atilla Hildmann zu jagen, dann war seine Line Extension vielleicht doch erfolgreich. Ansonsten wäre sein Ausflug in die Verschwörungstheorien nur ein erfolgloses Abdriften vom erfolgreichen Kerngeschäft. Mehr nicht. 

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