16.02.2025
Wahrheiten tun immer weh – warum JD Vance den Schmerzpunkt erwischt hat

Wahrheiten tun immer weh – warum JD Vance den Schmerzpunkt erwischt hat

Einleitung

JD Vance könnte auch als Orthopäde arbeiten. Er weiß wo man hinstechen muss, um maximalen Schmerz zu erzeugen. Seine Aussagen über deutsche und europäische Politik stoßen auf Widerstand – doch sind sie möglicherweise ein Spiegel für ein tiefer liegendes Problem? Während die politischen Reaktionen aus Deutschland vor allem ablehnend ausfielen, lohnt sich eine sachliche Analyse der Kernaussagen.

In der Demokratie hat nun mal leider die Mehrheit das Sagen

Vance argumentiert, dass die deutsche Politik nicht im Interesse der Mehrheit handelt. Er verweist darauf, dass nach den aktuellen Wahlergebnissen die Mehrheit der Deutschen erstens die Union und zweitens die AfD wählen. Das muss man nicht mögen, ist aber mathematisch leider so. Die Mehrheit haben also diese beiden Parteien. Dass das politisch nicht gewollt wird, weiß auch Vance. Daraus schließt er, dass Deutschland nicht wirklich eine Demokratie sei, da Mehrheiten ignoriert werden. Eine Regierung, die jahrelang am Volkswillen vorbei regiert, ist irgendwann nicht mehr an der Macht. Vance hat nichts anderes gemacht, als diese Selbstverständlichkeit, dass in Demokratien das Mehrheits- und nicht das Minderheitsprinzip gilt,  einmal mit dem Holzhammer zu kommunizieren. 

Europäische Selbstbeschränkungen als abschreckendes Beispiel

Ein weiterer Punkt seiner Rede betrifft die europäische, insbesondere deutsche Politik, die sich stark an eigenen moralischen und ideologischen Prinzipien orientiert. Als Beispiele nennt er den grassierenden Datenschutzstalinismus, der Unternehmen lähmt und innovative KI Startups gar nicht erst entstehen lässt. Von meinen Mandanten höre ich häufig, dass in ganz Europa die gleichen Datenschutzgesetze gelten, dass es aber in Deutschland um einiges komplizierter gemacht wird als notwendig. Deutsche Regulierungswut und Übergenauigkeit lassen grüßen. Dass von deutscher Seite auch kaum jemand auf dem großen KI Summit in Paris vergangene Woche war, spricht ebenfalls Bände. Vance war dort, obwohl es ein europäischer Gipfel war, Habeck, als „Wirtschaftsminister“ der größten Volkswirtschaft Europas nicht. Hinzu kommen komplizierte Lieferkettengesetze, astronomische Sozialausgaben und eine Energiepolitik, die überall in der Welt als abschreckendes Beispiel gesehen wird; halt nur nicht in Deutschland. Dass Vance die Migration als großes Problem darstellt, rückt ihn natürlich aus deutscher Sicht sofort in die rechte Ecke. Was er aber meint ist, dass ich als Land Ressourcen wie Zeit und Geld nur einmal ausgeben kann: Entweder für die Bewältigung der Migrationskrise oder für KI, Verteidigung oder Wirtschaftswachstum.

Deutschland hat mitnichten die Demokratie „erfunden“

Ein besonders scharfer Kritikpunkt von Vance ist die deutsche Selbstwahrnehmung als Vorbild für Demokratie. Was er nicht gesagt hat, aber hätte sagen können, ist, dass Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg von den Aliierten von 1945-1955 unter Aufsicht stand und eine „betreute Demokratieentwicklung“ eingeführt wurde, damit die Deutschen nicht gleich wieder irgendeiner Führerfigur hinterher rennen. Dass daraus die soziale Marktwirtschaft entstand und das Wirtschaftswunder der 50er Jahre zeigt, wie gut diese Strategie funktioniert hat. Fakt ist dabei, dass die Demokratie in den USA sehr viel älter ist als in Deutschland und dass Deutschland aufgrund der historischen Begebenheiten keinen  Grund hat, sich als demokratischer „First mover“ gegenüber den USA aufzuspielen. 

Uncle Sam wird es schon richten. Oder künftig nicht mehr?

Der vielleicht brisanteste Teil von Vance‘ Rede betrifft die Sicherheitspolitik. Er warnt, dass die USA nicht mehr automatisch als Schutzmacht für Europa fungieren werden, wenn die europäischen Länder weiterhin hohe Sozialausgaben priorisieren, anstatt ihre Verteidigungsbudgets zu erhöhen. Die Kernbotschaft ist: „Macht euren Kram, wie ihr es für richtig haltet, aber erwartet dann nicht, dass Uncle Sam euch wieder raushaut. 

Diese Mahnung ist nicht neu: Bereits unter Obama, Trump, Biden und jetzt wieder Trump gab und gibt es ähnliche Forderungen an Deutschland, mehr für seine Verteidigung zu tun. In der Tat bleibt Deutschland – trotz steigender Militärausgaben – weit hinter den US-amerikanischen Investitionen zurück. Vance bringt dies auf den Punkt: Wer sich nicht selbst um seine Sicherheit kümmert, darf nicht erwarten, dass die USA einspringt.

Die deutsche Story ist nicht schlüssig

Die Reaktionen aus Deutschland auf Vance‘ Rede waren weitgehend empört, wie man es bei Politikern erwartet, die sich irgendwie ertappt fühlen. Schmerzhaft ist eine Botschaft nur dann, wenn der Empfänger ahnt, dass sie leider wahr ist. Oder wenn der Orthopäde da hinsticht, wo wirklich etwas im argen ist. Die Story von Deutschland war jahrzehntelang die: Wir sind der moralische Schulmeister der Welt, doch wenn es ernst wird, verstecken wir uns hinter der US Armee und nutzen die Erkenntnisse des US Geheimdienstes; ohne den es in Deutschland wahrscheinlich noch deutlich mehr Anschläge geben würde. Dieser absolut nicht-selbstwirksamen deutschen Story hat Vance lediglich die Maske vom Gesicht gezogen. Und so etwas ist, sowohl in der Orthopädie, im Coaching und in der Politik, immer schmerzhaft.

PS: Schaut man sich gerade das deutsche Fernsehen an, glaubt man, Deutschland wäre der Mittelpunkt der Welt und alle interessieren sich dafür, was hier passiert. Liest man nur ein paar amerikanische Medien, weiß man, wie falsche diese Aussage ist. Abgesehen von den monatlichen stattfindenden Anschlägen in Deutschland, über die auch US Medien reißerisch und detailliert berichten, interessiert es jenseits des großen Teichs niemanden, was hier irgendjemand denkt oder sagt. Der einzige Grund der noch übrig bleibt, ist, dass Ramstein bei Kaiserslautern der größte US Truppenstützpunkt jenseits der USA ist. Sollte das irgendwann nicht mehr der Fall sein, läuft Deutschland für die USA komplett unter „ferner liefen“. 


Heute erschienen auf Focus Online. https://s.focus.de/eba324b6

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